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Libera Università di Bolzano

Von Hotspots zu Hidden Gems

Influencer können nachhaltigeres Gästeverhalten fördern und so zu Wegweisern im Tourismus werden. Dabei gewinnen auch virtuelle Influencer an Bedeutung – mit neuen Chancen und Risiken.

Di Florian Gasser

Foto: Ralph Olazo | Unsplash

Influencer-Marketing ist längst eines der wirkmächtigsten Instrumente der touristischen Kommunikation. Millionen Reisende lassen sich auf Instagram, TikTok oder YouTube von Menschen inspirieren, die Reiseerlebnisse scheinbar authentisch und nahbar vermitteln. Gerade in Südtirol zeigt sich die ambivalente Wirkung: Einerseits verstärken Influencer den Zustrom zu ohnehin stark frequentierten Hotspots wie dem Pragser Wildsee, den Drei Zinnen oder der Seceda, was die Debatte um partiellen Overtourismus in der Gesellschaft verschärft. Andererseits könnten sie durch eine kluge Strategie auch Teil der Lösung sein, etwa indem sie weniger bekannte Regionen, nachhaltige Reiseformen oder alternative Jahreszeiten gezielt promoten. Statt also ohnehin schon bekannte Wahrzeichen zu zeigen, wie beispielsweise den Pragser Wildsee in Südtirol oder das Matterhorn in der Schweiz, könnte man das Werbebudget mehr auf spannende Alternativen fokussieren, um ein ausbalancierteres Verhalten zu fördern. Einige Destinationen in Südtirol reagieren bereits mit gezielten Maßnahmen zur Besucherlenkung - von digitalen Buchungssystemen bis zu Kommunikationskampagnen in der Nebensaison. Parallel dazu gewinnt ein neues Phänomen an Bedeutung: virtuelle Influencer, also rein digital erschaffene Persönlichkeiten. Auch im Tourismus und perspektivisch auch für Südtirol eröffnen sie neue Möglichkeiten, das Image zu gestalten, Zielgruppen anzusprechen und Inhalte zu steuern.

Was tun gegen partiellen Overtourismus?

Der klassische Mechanismus ist leicht erklärt: Ein Influencer postet ein Bild am Pragser Wildsee im Morgenlicht und binnen kurzer Zeit wächst der Besucherzustrom, häufig mit dem Ziel, exakt dasselbe Motiv einzufangen. Dieser „Instagrammability“-Effekt hat Orte wie den Pragser Wildsee oder die Seiser Alm international bekannt gemacht, gleichzeitig aber auch enorme Herausforderungen erzeugt, wie etwa ökologische Belastungen in sensiblen Naturarealen, soziale Spannungen und ökonomische Ungleichgewichte. Dieser partielle Overtourismus ist nicht auf Südtirol beschränkt: In Island etwa startete die nationale Kampagne „Inspired by Iceland“ gezielt Initiativen, um Besucher:innen von den stark frequentierten Geysiren und Wasserfällen auch in die abgelegenen Westfjorde zu lenken. In Neuseeland wiederum wurde mit der Kampagne „Do Something New“ Influencer-Marketing genutzt, um Reisende zu ungewöhnlichen Aktivitäten und weniger bekannten Orten zu inspirieren - ein Versuch, die typischen Fotospot-Hypes zu entschärfen. Andere Länder wie Japan oder Schottland diskutieren ebenfalls, wie Social Media und Influencer künftig gezielt zur Besucherlenkung eingesetzt werden könnten – bisher oft noch auf konzeptioneller Ebene. Diese internationalen Beispiele zeigen: Mit klarer Strategie können Influencer nicht nur Überfüllung verstärken, sondern auch wirksam entzerren.

Strategischer Einsatz im Destinationsmanagement

Statt Influencer primär als Problem zu sehen, können Destinationen sie aktiv einbinden, um ein nachhaltigeres Tourismusverhalten anzustoßen. Für Südtirol bieten sich hier drei Ansätze an:

Diversifizierung von Darstellungen: Influencer-Kooperationen könnten gezielt auf „Hidden Gems“ hinweisen - etwa den Reschensee im Winter, traditionelle Bergdörfer oder kulinarische Besonderheiten jenseits der bekannten Almhütten. Ziel ist dabei nicht, neue Hotspots zu schaffen und Probleme zu verlagern, sondern Besucherströme breiter zu verteilen. So kann eine gezielte Entzerrung erreicht werden, die die negativen Effekte des partiellen Overtourismus reduziert. Und zugleich entstehen ökonomische Impulse in abgelegeneren Regionen, die bisher kaum am touristischen Aufschwung teilhaben. Entscheidend ist ein maßvolles, bewusst gesteuertes Storytelling, das Chancen eröffnet, ohne neue Belastungen zu erzeugen.

Saisonale Steuerung: Inhalte aus der Nebensaison – etwa Frühling in Meran, Sommer im Eisacktal mit Schwimmen im Radelsee oder Wintererlebnisse abseits des Massentourismus – können helfen, die Nachfrage zu entzerren. Genau dies hat „Tourism New Zealand“ mit seiner Kampagne „Do Something New“ versucht, indem Influencer bewusst alternative Jahreszeiten und weniger bekannte Orte bewarben.

Verantwortungsvolles Storytelling: Influencer sollten nicht nur Selfies posten, sondern auch Transportalternativen, Umweltregeln oder lokale Produkte thematisieren. Ein gutes Beispiel sind Kampagnen, die Besucher:innen auf die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln hinweisen, um Täler und Almen nachhaltiger zu erreichen.

Virtuelle Influencer: Eine neue Dimension auch für Südtirol?

Neben realen Influencern treten zunehmend virtuelle Figuren auf die Bühne. Internationale Beispiele wie Lu do Magalu (Brasilien) mit 8,2 Millionen Followern, Imma (Japan) mit 388.000 Followern oder Emma Travels Germany mit 22.000 Followern (Deutschland) zeigen, dass computergenerierte Avatare große Reichweiten entfalten können. Auch für Südtirol eröffnen sich damit Chancen: Virtuelle Charaktere könnten Geschichten über nachhaltiges Reisen, regionale Kultur oder weniger bekannte Täler transportieren, ohne dass Skandale oder persönliche Fehltritte, wie etwa der Fall rund um Chiara Ferragni, das Image beschädigen. Digitale Figuren könnten mehrsprachig und kulturübergreifend agieren, etwa für asiatische oder amerikanische Märkte, wo Südtirols Sichtbarkeit noch ausbaufähig ist. Ein virtueller „Südtirol-Botschafter“ könnte mediale Aufmerksamkeit schaffen und zugleich zeigen, dass Südtirol technologische Innovation mit regionaler Identität verbinden kann.

Wo es Chancen gibt, gibt es auch Risiken

Natürlich sind virtuelle Influencer kein Allheilmittel. Besonders im Tourismus gilt Authentizität als zentraler Wert. Wenn ein Avatar die Wanderung auf die Drei Zinnen digital inszeniert, fehlt das reale Erlebnis. Transparenz ist deshalb entscheidend: Nutzer:innen müssen klar erkennen, dass es sich um eine virtuelle Figur handelt. Aktuelle Studien zeigen, dass virtuelle Influencer besser funktionieren, wenn man sie klar von realen Menschen unterscheiden kann. Zudem kann die Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung kritisch sein. Während reale Influencer auch tatsächlich vor Ort einkehren, einkaufen oder Menschen begegnen, bleiben virtuelle Figuren immateriell. Sie eignen sich bisher also eher als Ergänzung, denn als Ersatz. Ein hybrides Modell erscheint daher sinnvoll: Reale Influencer können weiterhin emotionale Geschichten vom Wandern, Skifahren oder kulinarischen Entdecken erzählen - etwa durch Kooperationen mit Bloggern, die bewusst Nebenschauplätze in Szene setzen. Virtuelle Influencer könnten ergänzend strategische Botschaften verbreiten - etwa zum Thema Nachhaltigkeit, Mobilität oder sanfter Tourismus. Denkbar wäre eine digitale Figur, die jungen Zielgruppen erklärt, wie man Südtirol auch jenseits der bekannten „Instagram-Hotspots“ erleben kann - vergleichbar mit „Emma Travels Germany“, die als virtueller Influencer auf spielerische Weise für Reisen auch abseits der bekannten Metropolen wirbt. Influencer-Marketing – ob mit realen oder virtuellen Influencern – kann auch in Südtirol zu einem wertvollen ergänzenden Instrument werden, um Besucherströme bewusst zu lenken. Wer reale Glaubwürdigkeit mit virtueller Innovationskraft verbindet, kann nicht nur partielle Overtourismus-Erscheinungen entschärfen, sondern zugleich neue Impulse für eine zukunftsfähige Tourismusentwicklung setzen.

Dieser Artikel ist auch in der Südtiroler Wirtschaftszeitung erschienen.

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