Skip to content

Libera Università di Bolzano

Linguistica Inclusione Società

Sprachideologien in Gesellschaft und Bildung

Eigene Schulklasse für Kinder ohne Deutschkenntnisse? Sprachwissenschaftler:innen der unibz und von Eurac Research beziehen Stellung zur Diskussion um die Goetheschule in Bozen.

By Andrea Abel

Klassenzimmer, vorne zeigt Mädchen ein Poster, andere Kinder von hinten, eines zeigt auf
Sprachliche Segregation ist nicht der Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, unterstreichen die Wissenschaftler:innen von unibz und Eurac Research. Foto: Taylor Flowe | Unsplash

Vorstellungen darüber, welche Sprachen wir lernen sollen, wie viele wir lernen können, welche Sprachen und Varietäten als mehr oder weniger wertvoll gelten, was unter einer guten Sprachbeherrschung zu verstehen ist, was für den Erhalt von Minderheitensprachen nötig ist, kennen wir alle. Solche Überzeugungen sind gesellschaftlich gewachsen und als tief verwurzelte Annahmen über Sprachen und deren Verwendung prägen sie eine ganze Reihe (bildungs-)politischer, aber auch individueller Entscheidungen. Wir sprechen von Sprachideologien.

Im Bildungskontext etwa manifestieren sie sich häufig in einer Standardsprachenideologie, also der Vorstellung, dass die Standardsprache die einzige „richtige“ Sprachform sei, was zur Abwertung dialektaler oder umgangssprachlicher Ausdrucksweisen führen kann. Auch die Vorstellungen darüber, in welcher Sprache oder welchen Sprachen schulische Bildung stattfinden soll, haben sich im Laufe der Zeit verfestigt. Im Zuge der europäischen Nationalstaatenbildung im 19. Jh. hat sich im Wesentlichen eine Einsprachigkeitsideologie durchgesetzt, die nicht zuletzt aufgrund der Globalisierung und des demographischen Wandels mehr und mehr in die Kritik gerät. Die Sprachwissenschaft und die Sprachdidaktik haben gezeigt, wie wichtig die Förderung von Mehrsprachigkeit im Hinblick auf eine inklusivere und gerechtere Gesellschaft ist, in der wir einander mit Respekt begegnen, und sie haben einschlägige Evidenz für den Mehrwert von Mehrsprachigkeit vorgelegt, der sowohl kognitive, soziale als auch kulturelle Dimensionen umfasst.

Ebenso ist bekannt, dass eine zusätzliche Unterstützung in der Unterrichtssprache oder den Unterrichtssprachen, in denen die Bildung gestaltet wird, für all jene wichtig ist, die damit – aus welchen Gründen auch immer – Schwierigkeiten haben. Die Unterrichtssprache bzw. Bildungssprache (die nicht mit dem wissenschaftlich wenig eindeutigen Begriff der „Muttersprache“ zu verwechseln ist), die auf unterschiedliche Art differenziert gefördert werden kann, bildet Teil unseres jeweils individuellen gesamten sprachlichen Repertoires. 

Auch die Bildungswelt ist gefordert, den vielzitierten „monolingualen Habitus“ zu überwinden. Und wir erleben bereits zunehmend Offenheit und Engagement im Hinblick auf die Wertschätzung und Förderung von Mehrsprachigkeit in Bildungskontexten, auch in Südtirol. Werfen wir einen Blick in die Südtiroler Rahmenrichtlinien oder andere bildungsrelevante Unterlagen, stellen wir ein explizites Bekenntnis zum Wert von Mehrsprachigkeit fest. Nun werden wir aber immer wieder mit dem Konflikt konfrontiert, dass Mehrsprachigkeit einerseits als Mehrwert und Vorteil dargestellt wird, andererseits aber ideologisch als Nachteil konstruiert und instrumentalisiert wird, besonders wenn es um lebensweltliche und migrationsbedingte Formen der Mehrsprachigkeit geht. Genau diesen Konflikt führt uns die aktuelle, heiß diskutierte Debatte über die Entscheidung an einer deutschen Grundschule vor Augen, eine auf sprachkompetenzbezogenen Annahmen begründete Segregation bei der Klassenzusammensetzung vorzunehmen.

Unser Anliegen als Sprachwissenschaftler:innen ist es, sprachideologisch gewachsene Konflikte transparent zu machen, wie wir es in diesem kurzen Text versucht haben. Damit wollen wir dazu beitragen, die Debatte zu versachlichen und eine möglichst konstruktive Diskussion um die Zukunft der (sprachlichen) Bildung in einer inklusiven Gesellschaft anzustoßen, um die es schließlich geht. Sprachliche Segregation ist, so die empirische Evidenz, nicht der Weg dahin. In der Diskussion insbesondere um die sprachliche Bildung sollten wir außerdem den Fokus nicht ausschließlich auf die schulische Bildung richten. Vielmehr sollten wir sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten.

 

Andrea Abel (Professorin für Germanistische Sprachwissenschaft – unibz, Leiterin des Instituts für Angewandte Sprachwissenschaft – Eurac Research)

Birgit Alber (Professorin für Germanistische Sprachwissenschaft – unibz)

Silvia Dal Negro (Professorin für Linguistik – unibz)

Renata Zanin (Professorin für Didaktik DaZ/DaF – unibz)

Marta Guarda (Senior Researcher im Bereich Mehrsprachigkeit, Eurac Research)

Maria Stopfner (Senior Researcher im Bereich Mehrsprachigkeit – Eurac Research)

Alessandro Vietti (Professor für Linguistik – unibz)

Sabrina Colombo (Researcher im Bereich Mehrsprachigkeit – Eurac Research)

Marjan Asgari (RTD-a im Fachbereich Linguistik, Schriftspracherwerb – unibz)

Ruth Videsott (RTD-a im Bereich Mehrsprachigkeit – unibz)

Lorenzo Spreafico (Professor für Sprachdidaktik – unibz)

Andrea Renee Leone-Pizzighella (Senior Researcher im Bereich Mehrsprachigkeit – Eurac Research)

Cecilia Varcasia (RTD-a im Bereich Mehrsprachigkeit, Sprachdidaktik – unibz)

Daniela Veronesi (Forscherin für Linguistik – unibz)

 

Diese Stellungnahme ist auch im Wochenmagazin ff erschienen. 

Persone nell’articolo: Birgit Alber, Marjan Asgari, Silvia Dal Negro, Lorenzo Spreafico, Cecilia Varcasia, Ruth Videsott, Alessandro Vietti, Daniela Veronesi, Renata Zanin