Vom Hörsaal in den Job
Di Susanne Pitro

Angelika Oberkofler, Tierwohl- und Nachhaltigkeitsbeauftragte im Sennereiverband Südtirol, Matthias Piva, Geschäftsführer der Käserei Sexten, und Eva Siller, Juniorchefin von Bioexpress und des elterlichen Bacherguterhofs in Algund. Drei junge Menschen, die Südtirols Agrar- und Lebensmittelbranche mitgestalten – und alle den Bachelor in Agrar-, Lebensmittel- und Bergumweltwissenschaften an der Freien Universität Bozen absolviert haben. Eine weitere Gemeinsamkeit: alle drei hatten von Kindesbeinen an einen Bezug zur Landwirtschaft. Matthias Piva wuchs auf dem elterlichen Oberkühbachhof in Toblach mit Kälbermast und eigener Milchverarbeitung zu Butter auf. Eva Siller hatte schon als Kind direkten Kontakt zu den Abnehmern der Bioäpfel, die ihre Eltern in Algund anbauen: Bereits ihr Urgroßvater gründete einen eigenen Obstvermarktungsbetrieb, ihr Vater das Unternehmen Bioexpress, das biologisches Obst und Gemüse an Private und Institutionen liefert. Angelika Oberkofler wuchs zwar nicht direkt auf einem Hof auf, verbrachte aber viel Zeit auf einem Hof mit Milchvieh, den ihr Bruder in unmittelbarer Nachbarschaft gepachtet hatte.
Ist ein Agrarstudium für die nächste Generation auf Südtirols Höfen also schon Standardprogramm? Zumindest für Matthias Piva lag diese Wahl keineswegs auf der Hand. „Ich war in der Schule lange eher eine Katastrophe und wollte ursprünglich nicht studieren“, gesteht er. Doch mit den Jahren ging ihm an der Fachoberschule für Landwirtschaft Auer nicht nur der sprichwörtliche Knopf auf. Piva wurde vor allem immer klarer, dass auch er nicht allein vom Hof seiner Familie leben können würde und ihm ein Studium interessantere Jobchancen eröffnen würde. Eine Hoffnung, die sich erfüllte: direkt nach seinem Abschluss im Jahr 2022 wurde er vom Raiffeisenverband Südtirol als Fördermittelberater eingestellt. Nur ein Jahr später bekam der Toblacher das verlockende Angebot, die Geschäftsführung der zweitkleinsten Käserei im Lande in Sexten zu übernehmen. Eine spannende Herausforderung, die ihm nicht zuletzt erlaubte, seinen Job und die Arbeit am Hof besser zu kombinieren. Vor allem aber reizt ihn die Aufgabe, den Fortbestand der kleinen Sennerei zu sichern und ihr Potenzial mit neuen Projekten stärker auszuschöpfen. Dabei profitiert er auch direkt von dem Wissen, das er an der Universität erworben hat: von Kenntnissen zur neuen EU-Agrarpolitik und ihren Auswirkungen auf Südtirol, die er in seiner Abschlussarbeit behandelte, bis hin zu seiner Spezialisierung „Management der Bergumwelt“, bei der er sich ihm dritten Studienjahr intensiv mit Bergökosystemen auseinandersetzte. Die wichtigste Vorbereitung hat das Studium in Bozen ihm aber mit einer generellen Fähigkeit mitgeben, sagt Piva. „Man lernt, nicht nur das Eigene zu sehen, sondern über den Tellerrand hinauszuschauen. Es gibt einfach so viele Projekte und Ideen, quer durch Europa und die ganze Welt – und ein Studium eröffnet dir diese Welt.“

Die große weite Welt hat auch die junge Eva Siller schon früh angezogen. Bereits während ihrer Oberschulzeit verbrachte die Algunderin ein Jahr in England. Das Agrarstudium in Bozen überzeugte sie dann vor allem wegen seiner Dreisprachigkeit und der vielen Möglichkeiten, im Ausland zu studieren. Die nutzte sie während ihres Bachelors und anschließenden Masterstudiengangs in Environmental Management of Mountain Areas dann auch ausgiebig: mit je einem Auslandsemester im thailändischen Chiang Mai und an der Universität Göttingen. „Für jemanden, der wie ich auf einem Hof aufgewachsen ist, sind solche Auslandserfahrungen sehr wichtig“, sagt Siller. Auch wenn die tropische Landwirtschaft oder der deutsche Ackerbau auf den ersten Blick wenig mit Südtirols Landwirtschaft zu tun haben, haben die Auslandserfahrungen geholfen, den Blick zu weiten und vieles neu zu sehen. Und: In den Studienjahren in Bozen vertiefte sie die Kenntnisse über die lokalen Besonderheiten, Herausforderungen und mögliche Alternativen ohnehin. „Außerdem konnten wir viele Kontakte zu Betrieben knüpfen; auch der Austausch mit den Professor:innen und Forschenden an der unibz ist bis heute hilfreich“, sagt Eva Siller. Bevor sie 2021 in den elterlichen Betrieb einstieg, hatte sie noch mehrere Jahre Erfahrungen im Ausland gesammelt: in Portugal holte sie sich Einblicke in die Permakultur und die regenerative Landwirtschaft, danach arbeitete sie in Spanien und Italien als Qualitätsmanagerin für die Marken „Ja natürlich“ und „REWE Bio“ des gleichnamigen deutschen Handelskonzerns. Erfahrungen, die ihr nun bei ihrer Arbeit für Bioexpress zugutekommen. Auch im Austausch mit vielen Bäuerinnen und Bauern, die sie kontaktieren, weil sie selbst auf der Suche nach alternativen Produkten und Anbauweisen sind. „Es ist eine spannende Zeit für die Landwirtschaft, in der es viele neue Konzepte braucht. Und wenn jedes Jahr weitere Absolvent:innen der unibz mit neuen Ideen auf den Markt kommen, können wir in den nächsten Jahrzehnten sicherlich vieles verändern“, ist Eva Siller überzeugt.

Auch durch das immer dichtere Netzwerk, das zwischen Absolvent:innen der Fakultät für Agrar- Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften besteht. „Ich schätze den Austausch mit ehemaligen Studienkolleg:innen sehr, die nun in unterschiedlichsten Bereichen von Südtirols Agrar- und Lebensmittelsektors arbeiten, und lerne auch laufend neue Absolvent:innen kennen“, sagt Angelika Oberkofler. „Ich habe den Eindruck, dass wir einen neuen Zugang einbringen, aber durch das Studium in Bozen dennoch einen sehr starken Regionalbezug mitbekommen haben.“ Oberkofler hatte in den letzten Monaten ihres Studiums über einen ihrer Professoren von einer Stelle beim Sennereiverband Südtirol erfahren. Anfangs eine Mutterschaftsvertretung in Marketing und Direktionsassistenz, aus der sich bald ein fester Job entwickelte, in dem sie nun für die topaktuellen Bereiche Tierwohl und Nachhaltigkeit verantwortlich ist. Ob die Zertifizierung zu Gentechnikfreiheit, Classyfarm oder andere Nachhaltigkeitsthemen: die junge Grödnerin berät und informiert Südtirols Milchbäuerinnen- und bauern zu vielen großen aktuellen Herausforderungen. Ihr solides Grundwissen durch das Studium ist ihr dabei eine wichtige Basis. Viel lernt sie nun aber auch direkt auf den Höfen und mit den Menschen, mit denen sie tagtäglich in Kontakt ist. Wird sie als junge Frau überhaupt ernst genommen? „Anfangs hatte ich tatsächlich die Befürchtung, dass es für mich in den Betrieben nicht einfach werden würde“, schmunzelt sie. „Doch das war unbegründet. Einerseits habe ich auf den Höfen und in den Ortsgruppen immer mehr Frauen als Ansprechpartnerinnen. Doch auch die allermeisten meiner Ansprechpartner sind sehr nett und offen – vor allem, sobald sie verstanden haben, dass ich wirklich etwas vom jeweiligen Thema verstehe und viel praktische Erfahrung habe.“
Dieser Beitrag ist im Südtiroler Landwirt erschienen.