Kollaborative Sprachforschung
By Anna Pilsbacher
VinKiamo Südtirol ist das größte Projekt, das ich im Rahmen meiner Arbeit als Forschungsassistentin an der Freien Universität Bozen für das Kompetenzzentrum Mountain Innovation Ecosystems (PNRR Projekt iNEST) betreue. Es richtet sich an deutsch- und ladinschsprachige Oberschulen in der Provinz. Seit Beginns des Projektes haben über 370 Schüler:innen aus 22 Klassen an dem Projekt teilgenommen.
Am Projekttag in Brixen bietet sich den Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit, sich in verschiedenen Aktivitäten mit Mehrsprachigkeit und der Vielfalt der heimischen Dialekte und Minderheitssprachen auseinanderzusetzten. Zugleich wird ein Einblick in die neueste Forschung innerhalb der Linguistik geboten. Ich bin jedes Mal fasziniert davon, wie vielfältig und variiert das Angebot an Aktivitäten ist und wie viel Mühe an jedem einzelnen Stand aufgebracht wird, um das eigene Fach verständlich und ergreifend zu vermitteln. In erster Linie sind das natürlich Forschende und Studierende der unibz, aber auch Kolleg:innen von anderen Instituten wie EURAC Research, den Universitäten in Trient und Verona, dem Bersntoler Kulturinstitut, ja sogar aus München und Berlin.
Bei unserer Arbeit mit den jungen Menschen versuchen wir, ein besonderes Augenmerk auf den Abbau von Vorurteilen gegenüber Dialekten zu richten. Dazu gehören beispielsweise die Behauptungen, dass Dialekte über geringere Ausdrucksmöglichkeiten als Standardsprachen verfügen oder dass ältere Generationen den authentischeren Dialekt sprechen. Außerdem werden die Vorteile der Mehrsprachigkeit, zu der Dialekte auch beitragen, in den Fokus gestellt.
Für den zweiten Teil des Projektes, werden die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler selbst zu Sprachforschern. Denn sie sammeln in ihren Heimatgemeinden mithilfe einer Onlineplattform Sprachdaten bei älteren Menschen. Als Forschende stehen wir vor der Herausforderung, Teilnehmende für unsere Studien zu finden, was oft zu einem verzerrten Bild der linguistischen Landschaft einer Region führen kann. Hier sind die Beiträge von VinKiamo wichtig, da es uns so gelingt, auch ältere Menschen zu erreichen, die sich selbst wohl nicht an einen Computer setzen würden.
Indem wir junge Menschen in die Datensammlung einbeziehen, hoffen wir, einen Beitrag zur Generationenverständigung zu leisten und einen Anstoß zum Dialog über sprachliche Identität in Familien und dem sozialen Umfeld der Schüler und Schülerinnen zu geben. Wichtig für uns ist die Entwicklung weg von einer Forschung, die das sprachliche Verhalten der Sprechenden beschreibt, und hin zu einer kollaborativen Forschung, die für alle Teilnehmenden einen Mehrwert darstellt.
Die Resultate der Forschungsarbeit unserer Teilnehmer fließt in die frei zugängliche Datensammlung von AlpiLinK ein. Die Plattform ist in einem gemeinschaftlichen Forschungsprojekt der Universitäten Verona, Trient, Turin, Aosta und Bozen entstanden, das es sich zum Ziel gesetzt hat, germanisch-deutsche, romanische und slawische Minderheitensprachen und Dialekte in den italienischen Alpenregionen Piemont, Lombardei, Venetien, Trentino-Südtirol und Friaul-Julisch Venetien zu dokumentieren. Interessierte Leser können hier Hörbeispiele aus dem gesamten Gebiet anhören oder auch selbst Aufnahmen beisteuern.
Obwohl sich unser Projekt auf die historische Mehrsprachigkeit, also auf Sprachen und Dialekte richtet, die traditionell in der Region gesprochen wurden, liegt ein besonderes Augenmerk auf der Inklusion von mehrsprachigen Menschen, die Sprachen oder Dialekte sprechen, die durch Zuwanderung Teil des bestehenden Sprachengefüges geworden sind. Vor allem am Projekttag haben wir deshalb Aktivitäten konzipiert, die alle Teilnehmenden dazu auffordern, sich positiv mit der eigenen sprachlichen Identität zu befassen.
Für Informationen zu unserem Projekt VinKiamo Südtirol siehe auch https://vinkiamo.projects.unibz.it/
Related people: Anna Pilsbacher