Citizen Scientists in den Startlöchern
By Susanne Pitro
Eine grüne Metallschaufel, ein Holzlöffel, Schutzhandschuhe, ein Papierstreifen zur pH-Messung, zwei Plastikröhrchen, zwei verschließbare, biologisch abbaubare Plastiktüten: Mit diesem Werkzeug werden ab dem kommenden Jahr Citizen Scientists in ganz Europa zu einem beispiellosen Gemeinschaftsprojekt ausschwärmen und an insgesamt 16.500 Standorten Proben zur Beschaffenheit und Gesundheit der Böden zu nehmen und zumindest teilweise selbst zu analysieren. ECHO – Engaging Citizens in Soil Science: the road to healthier soils – lautet der offizielle Name des Projekts, das vom EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe gefördert wird. Ein großes Gemeinschaftsunternehmen von 16 Partnern aus ganz Europa, darunter zehn Universitäten und Forschungszentren. Die Mission dahinter? Den Gesundheitszustand der Böden in Europa zu verbessern – durch die Bereitstellung von mehr und besseren Daten über den aktuellen Zustand der Böden und durch die aktive Einbindung der Bevölkerung in den Schutz und die Wiederherstellung gesunder Böden.
"ECHO schafft neue Verbindungen zwischen Menschen, denen unser Boden und unsere Umwelt am Herzen liegen."
Koordiniert wird das ehrgeizige Projekt im Zentrum von Bozen, in den Büros der Fakultät für Agrar- Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften und des Kompetenzzentrums für Pflanzengesundheit der Freien Universität Bozen. Hier hat Professorin Tanja Mimmo dieses Projekt mit der größten EU-Förderung an Land gezogen, das je von der Freien Universität Bozen geleitet wurde. Die operative Leitung hat die Professorin für Bodenchemie einem Duo von zwei jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen anvertraut: Projektmanagerin ist Claudia Cappello, die nach einem Studium der Biotechnologie und Lebensmitteltechnologie in Bologna und Padua für ihr Doktorat in Food Sciences nach Bozen gekommen war. Ihr zur Seite steht die französische Agrarökologin Céline Laurent, die sich bei ihrer Doktorarbeit auf der Insel Réunion und als Postdoc in Nancy auf die Erforschung von Schwermetallen in Böden spezialisiert hat. Konzentriert sitzen die beiden jungen Wissenschaftlerinnen an diesem Oktobernachmittag über ihrer „Bibel“: einer langen Liste mit den einzelnen Projektschritten und ihren Deadlines, eng beschrieben und in verschiedenen Farben markiert. Diese Deliverables müssen bereits bei der Einreichung von EU-Projekten definiert sein und penibel eingehalten werden.
Kreative Lösungen
Sprich: zu jeder Deadline müssen Ergebnisse auf ein EU-Portal hochgeladen werden, über das der Projektfortschritt in der EU-Kommission kontrolliert wird. Auch wenn jeder der 16 Partner einen Teil der Aufgaben übernimmt – in Bozen muss dafür gesorgt werden, dass sie fristgerecht erledigt und Lösungen für die unterschiedlichsten Probleme gefunden werden, die dabei auftauchen. „Gerade gestern ging es darum, die Protokolle für die Probenahme anzupassen“ erzählt Claudia. „Wir haben einheitliche Vorgaben, wann die Proben zu nehmen sind, doch was in Südeuropa perfekt funktioniert, ist vor allem in Nordeuropa nicht möglich, weil die Böden dann noch gefroren sind.“. Fast täglich gilt es, kreative Lösungen für kleine und große Herausforderungen zu finden – erst recht angesichts der unterschiedlichen Mentalitäten und nationalen Gesetze und Vorschriften in den einzelnen Partnerländern.
Doch das Strahlen in den Augen der beiden Wissenschaftlerinnen verrät, wie sehr sie die Arbeit an diesem Projekt begeistert. „Ich hatte bisher noch nie mit so vielen Menschen aus ganz Europa tu tun“, sagt Céline Laurent. „Bei unseren Online-Treffen sind oft zehn oder mehr verschiedene Nationalitäten vertreten, das ist einfach sehr bereichernd.“ In einem Monat findet das erste große Treffen aller Partner in Portugal statt. Dort können vor dem Start der Probenahmen im kommenden Jahr die nächsten Schritte endlich in persönlichem Kontakt statt über Computerbildschirme gemeinsam geplant werden.
Ambassadors als Bindeglied zu Bevölkerung
Bis dato floss die meiste Energie in den Aufbau des Netzwerks. Die wichtigste Stütze für den Kontakt zur Bevölkerung sind die ECHO-Ambassadors. Allein in Italien gibt es aktuell mehr als 130 solcher Botschafter:innen. Menschen, die sich vielfach bereits für ökologische Anliegen engagieren; ob Lehrer Aktivistinnen, Landwirte, Museumspädagoginnen oder einfach interessierte Bürger:innen. Sie fungieren als lokale Vermittler zwischen den Partnern und der Bevölkerung – sei es mit Informationen und Veranstaltungen, aber auch als Anlaufstelle für die Verteilung der Tool Kits und das Einsammeln der Proben. Der Inhalt der Kits wurde in den vergangenen Monaten in Bozen eingekauft. Zeitweise lagerten 16.500 Schaufeln, Handschuhe oder Röhrchen in Abstellräumen am Campus Bozen, bevor sie in die verschiedensten Regionen Europas – von Finnland über Rumänien bis Griechenland – verschickt wurden. Dort werden die einzelnen Tools dann von den Partnerorganisationen zu Probesets zusammengestellt und im nächsten Jahr nach und nach an die Ambassadors verteilt.
Parallel dazu wurde an der unibz gemeinsam mit den Projektpartnern eine digitale Infrastruktur aufgebaut, die das entstehende Netzwerk von Citizen Scientist zusammenhält und nach gemeinsamen Standards arbeiten lässt. Angefangen von zahlreichen Tutorials und Workshops zum Thema Bodengesundheit bis hin zu einer digitalen Landkarte, auf der alle Ambassadors verzeichnet sind, um sich so einfacher mit Menschen aus ihrer Region vernetzen zu können. „Damit schafft ECHO auch neue Verbindungen zwischen Menschen, denen unser Boden und unsere Umwelt am Herzen liegen”, so die beiden Wissenschaftlerinnen.
App als gemeinsame Plattform
Zentrales Werkzeug ist jedoch eine eigens entwickelte ECHO-App. Sie führt die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger mit Tutorials durch die einzelnen Schritte der Probenahme, erfasst die GPS-Position der Probenahmestellen und ermöglicht es, sowohl Fotos als auch eigene Beobachtungen und Bewertungen direkt in das System einzugeben. Konkret sollen bei den Bodenproben Merkmale wie Bodentextur und -farbe bewertet und der pH-Wert des Bodens gemessen werden. Das Vorkommen und die Menge von Regenwürmern als Indikatoren für Biodiversität werden ebenso erfasst, wie eventuell im Boden gefundene Plastik- oder Metallabfälle. Schließlich werden die Citizen Scientists aufgefordert, mit einem Löffel Bodenproben zu entnehmen, die in zwei verschiedenen Behältern nach Bozen geschickt werden.
Im Labor des Kompetenzzentrums für Pflanzengesundheit hat Céline Laurent dafür bereits zwei neue Geräte getestet und eingerichtet. Mittels Röntgenfluoreszenz-Analyse werden die Proben auf Schwermetallrückstände untersucht. Eine DNA-Analyse hingegen lässt Rückschlüsse auf die Artenvielfalt im jeweiligen Boden zu. Nicht ohne Stolz beschreibt Céline, wie in diesem Labor in den nächsten Jahren wichtige Daten gesammelt werden, die in die Open Access Datenbank ECHOREPO einfließen werden. Eine wertvolle und notwendige Ergänzung zur bestehenden Bodenkartierung und -überwachung in den EU-Mitgliedstaaten, einschließlich des Europäischen Bodenobservatoriums (EUSO). Denn: Um die Ziele von Mission Soil, dem großen EU-Vorhaben zur Wiederherstellung und Erhaltung der Bodengesundheit, zu erreichen, braucht es mehr Daten über den Zustand von Europas Böden und das Engagement aller Bürgerinnen und Bürger. Zu beidem wird mit ECHO in den kommenden drei Jahren ein wichtiger Beitrag geleistet – mit einer Schaltzentrale mitten in Bozen.
Dieser Artikel wurden in der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Academia" veröffentlicht.
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