Wie nachhaltig ist Agrotourismus?
By Editorial Team
Mit rund 3.000 Betrieben und mehr als 29.000 Betten hat sich das Konzept „Urlaub auf dem Bauernhof“ (UaB) in Südtirol als wichtiges Standbein von Landwirten und beliebtes touristisches Angebot etabliert. Auch in umliegenden Regionen sowie in vielen Ländern weltweit boomt der Agrotourismus. Aktuelle Zahlen und vor allem Zukunftsperspektiven, Herausforderungen und Grenzen dieser landwirtschaftlichen Nebentätigkeit werden von 16. bis 18. Mai auf dem zweiten Weltkongress für Agrotourismus (WAC) beleuchtet, der von Eurac Research veranstaltet wird.
Ein wichtiger Treffpunkt für internationale Forschende und alle Stakeholder:innen im Bereich des ruralen Tourismus, bei dem auch ein großes Südtiroler Forschungsprojekt in diesem Bereich Premiere feiern wird. Forschungsteams rund um Prof. Christian Fischer von der Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften der Freien Universität Bozen sowie um Dr. Thomas Streifeneder, Leiter des Instituts für Regionalentwicklung von Eurac Research, wollen die Entwicklung dieser Form des landwirtschaftlichen Nebenerwerbs in einem Langzeitprojekt untersuchen.
Dafür wurde in Kooperation mit der Universität Innsbruck ein Panel von rund 500 UaB-Betrieben in allen drei Mitgliedern der Europaregion Tirol zusammengestellt. Die ersten Ergebnisse aus den bisher vier Veröffentlichungen des Projekts, die Teil einer Doktorarbeit von Giulia Grillini sind, werden in dieser Woche der internationalen Community in diesem Bereich vorgestellt.
Dazu zählt ein internationaler Überblick zur aktuellen Situation und den unterschiedlichen gesetzlichen Regelwerken des Agrotourismus. „Global gesehen ist Urlaub auf dem Bauernhof ein relativ neues Phänomen, und der Vergleich hat gezeigt, dass Italien ein sehr ausgearbeitetes gesetzliches Regelwerk hat“, erklärt Thomas Streifeneder. Einen Vergleich zwischen agrotouristischen Strukturen in den drei Provinzen der Europaregion stellte das Forschungsteam in einem weiteren Paper an. Dabei zeigte sich unter anderem, dass Betriebe im Trentino stärker auf Gastronomie, die Umsetzung nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken sowie die Vernetzung mit der lokalen Gemeinschaft setzen, während der Schwerpunkt in Südtirol und teilweise auch in Tirol stärker auf dem Angebot qualitativ hochwertiger Ferienunterkünfte liegt.
Besonders interessant sind auch die Ergebnisse einer 2023 im Journal of Rural Studies erschienenen Publikation, die Nachhaltigkeitsaspekte von Betrieben mit und ohne UaB-Angebot vergleicht. Eine generelle Aussage, welche Betriebsform nachhaltiger ist, lässt sich laut den Ergebnissen nicht treffen. „UaB-Betriebe haben beispielsweise einen höheren Anteil an Bio-Produktion und sind auch in der Energieversorgung nachhaltiger“, sagt Christian Fischer. Warum das so ist, wird aktuell in einer weiteren Studie analysiert. Obwohl die Betriebe im Schnitt wirtschaftlich nachhaltiger arbeiten, also mehr verdienen, produzieren sie im Schnitt weniger landwirtschaftliche Produkte als Betriebe ohne touristisches Angebot. Aber auch soziale Nachhaltigkeitsaspekte, wie Beziehungen mit der Nachbarschaft oder der Gemeinschaft vor Ort, leiden bei UaB-Betrieben in der Regel stärker als auf anderen Höfen.
„Urlaub auf dem Bauernhof ist für Südtirols Landwirtschaft ein zentrales Thema. Deshalb wollen wir die Entwicklung dieser Tätigkeit auch als Forschende längerfristig begleiten und mit regelmäßigen Befragungen zu bestimmten Themenbereichen sowohl zeitliche Vergleichswerte wie auch Unterschiede zwischen Betrieben mit und ohne touristischem Angebot aufzeigen“, so Christian Fischer.
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