Landtechnik 4.0 für Südtirol
By Editorial Team
Das Thema Abdrift von Pflanzenschutzmitteln sorgt immer wieder für breite gesellschaftliche Diskussionen. In einer von außen unauffälligen Industriehalle auf dem Gelände des NOI Techpark wird im Agroforestry Innovation Lab seit zwei Jahren an Lösungen geforscht, die künftig nicht nur eine effizientere, sondern auch eine umweltverträglichere und somit konfliktfreiere Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln erlauben soll.
Um Pflanzenschutzgeräte zu verbessern, ist es notwendig, ein komplexes technisches System mit einem sehr variablen Umweltsystem gemeinsam zu untersuchen – von Bauteilen der Pflanzenschutzspritze bis zu Parametern von Pflanzen und Umwelteinflüssen wie zum Beispiel Wind. Dafür werden im Labor der unibz am NOI Techpark verschiedene „HighTech“-Messsysteme eingesetzt.
Zuerst müssen die Komponenten einer Pflanzenschutzspritze wie Düsen, Ventilatoren, Pumpen, Tank, Kontrolleinrichtung und elektronische Einrichtungen mit hoher Genauigkeit untersucht und überprüft werden. Im nächsten Schritt werden die Wechseleinflüsse zwischen den Komponenten untersucht, etwa der Einfluss der Tropfengröße und des Luftvolumenstroms des Ventilators auf die Tropfengrößenverteilung.
Nachdem die Überprüfung der Komponenten abgeschlossen ist, wird das gesamte Gerät in einen großen Windkanal des Agroforestry Innovation Lab gebracht, um die Technik im Wechselspiel mit unterschiedlichen Windgeschehnissen zu testen. Von der Decke der 10 Meter hohen Halle werden zwei Planen bis zum Boden heruntergelassen und fixiert; am Ende des so entstehenden Kanals kann mit einem ganzen Set an Ventilatoren jede beliebige Windsituation simuliert werden. Das Besondere am Windkanal der unibz sind aber gleich mehrere Messvorrichtungen, mit denen das Verhalten der ausgebrachten Spritzmittel mit sehr hoher Präzision analysiert werden kann. Dafür werden die Traktoren mit den jeweiligen Sprayvorrichtungen in der Halle in Aktion gesetzt. Auf diese Weise kommt man bereits sehr nahe an die Freilandbedingungen heran, denn im Windkanal können auch reale Pflanzen mit aufgestellt werden.
Somit wird es möglich, mit einer einzigartigen Teststation für Sprühvorrichtungen, unterschiedliche Technologien unter standardisierten Bedingungen zu prüfen.
Am Agroforestry Innovation Lab der unibz besteht nun ein reiches Instrumentarium, dass einerseits eine genaue Analyse erlaubt, wie effizient die Behandlung der Pflanze durchgeführt wurde, also wie viel Menge an Spritzbrühe die Blätter in den jeweiligen Höhen und somit auch Entwicklungsstadien der Pflanzen mit den jeweiligen Geräten erreichen. Gleichzeitig lassen vor allem die Ergebnisse zur Tröpfchengröße sehr präzise Berechnungen zu, welcher Anteil der Ausbringung zu leicht ist, um auf der Pflanze oder auf dem Boden zu landen und vielmehr als Abdrift die Umwelt zu belasten. „Bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln mit Sprühgeräten gibt es extrem viele Parameter, die auf die Qualität einwirken, also bestimmen, ob die Mittel dort ankommen, wo sie sollen. Umso wichtiger ist, diese nun in so hoher Präzision und unter standardisierten Bedingungen testen zu können“, sagt der Leiter des Agroforestry Innovation Lab Prof. Fabrizio Mazzetto.
Kooperation mit Produzenten
Nach Eröffnung des Labors wurde in den ersten zwei Jahren vor allem getestet und die Genauigkeit der Messysteme optimiert. Inzwischen wird mit den ersten Südtiroler und norditalienischen Produzenten von Sprühgeräten zusammengearbeitet. Noch liegen keine endgültigen Ergebnisse zum Optimierungspotenzial vor, das dank so umfangreicher Testmöglichkeiten an den Maschinen erreicht werden kann. „Doch sobald sie vorliegen, wird die Nachfrage rapide steigen und wir sind dabei, uns gut darauf vorzubereiten“.
Anfang des Jahres 2024 wurde das Team des Agroforest Innovation Lab durch Andreas Gronauer verstärkt. Der gebürtige deutsche Experte für Landtechnik, der vor kurzem von der BOKU Wien zum Team des Labors im NOI Techpark gestoßen ist, plant die Grundsteine für ein weiteres Labor zu legen, um die Potenziale im Bereich der optischen Sensorik und Bildanalyse sowie computergestützter „Farm-Informations und Managementsysteme“ (FIMS) für die land- und forstwirtschaftliche Anwendung zu erschließen. Dadurch eröffnen sich auch für den Bereich Pflanzenschutz neue Möglichkeiten für eine viel gezieltere und frühzeitige Behandlung von Pflanzenkrankheiten. „Aus dem Bereich der Beikrautregulierung gibt es beispielsweise Studienergebnisse, laut denen dank solch optischer Sensorik in Kombination mit diesen Farminformations- und Managementsystemen Einsparungen von mehr als 90 Prozent des Herbizideinsatzes erzielt werden können“, sagt Andreas Gronauer.
In Kooperation mit den Expert:innen für Sensortechnik an der unibz sollen neue Lösungen in diese Richtung entwickelt werden oder bereits bestehende Technologien, die bisher vor allem von großen Betrieben genutzt werden, auch Südtirols kleinstrukturierter Landwirtschaft zugänglich gemacht werden. „Wir befinden uns aktuell in einer Phase, in der es förmlich brummt vor Innovationen und neuen technologischen Möglichkeiten. Immer öfter wird ein Vergleich zur Revolution in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gezogen, die der Umstieg vom Pferd auf den Traktor mit Verbrennungsmotor bewirkt hatte“, sagt der Experte für Landtechnik.
Umso wichtiger sei es auch, an die Berglandwirtschaft angepasste Lösungen zu entwickeln, die es ermöglichen, Daten in den Apfelanlagen, Weinbergen oder auf den Feldern zu erheben und gewinnbringend nutzen zu können. Angesichts der begrenzten finanziellen Ressourcen kleinstrukturierter Betriebe ist einerseits die Forschung gefordert, kostengünstigere Technologien zu entwickeln. „Gleichzeitig wird es aber auch neue Formen der Kooperation brauchen, um Geräte und Systeme betriebsübergreifend zu nutzen und somit rentabler zu machen“, meint Prof. Andreas Gronauer.
Dieser Artikel wurde im Südtiroler Landwirt veröffentlicht.
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