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Education Inclusion

Musik verbindet – unabhängig von Herkunft, Sprache oder Alter

Ein Projekt an der Fakultät für Bildungswissenschaften zeigt, wie gemeinsames Musizieren Inklusion und sozialen Zusammenhalt in Schulen fördert.

By Rosmarie Hagleitner

Zwei Kinder sitzen im Schneidersitz auf dem Boden. Zwischen ihnen eine Bongo-Trommel. In der Perspektive von oben sieht man ihre gekreuzten Beine und ihre Hände, die auf den Bongos.
Durch das gemeinsame Musizieren und Bewegen werden sprachliche, emotionale und soziale Barrieren abgebaut. Foto: unibz

Wie können Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen und kulturellen Hintergründen miteinander wachsen? Wie lässt sich im Schulalltag ein Raum schaffen, in dem sich jedes Kind ausdrücken und als Teil einer Gemeinschaft erleben kann – jenseits von Sprache und Herkunft? Eine Antwort auf diese Fragen gibt das Projekt „Zusammen Musizieren“, das seit 2022 an Südtiroler Grundschulen durchgeführt wird. Initiiert und wissenschaftlich begleitet wird es von der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen unter der Leitung von Prof. Johann van der Sandt und der Koordination des Musikwissenschaftlers und Soziologen Carlo Nardi. Ziel des Projekts: Inklusion, Vielfalt und sozialen Zusammenhalt in Südtirol – insbesondere im schulischen Kontext – zu erforschen und durch eigens entwickelte Ansätze aktiv zu fördern.

 

Vier Kinderhände auf einer Ukulele. Eine Kind zeigt dem anderen die Griffe.
Kinder helfen sich gegenseitig – gelebte Inklusion durch natürliches Miteinander. Foto: unibz

Im Zentrum steht das gemeinsame musikalische Erleben: Singen, Tanzen, Musizieren auf einfachen Instrumenten, Erfinden und von neuen Liedtexten und Bewegungen. Die wöchentlichen Workshops an drei Grundschulen in Franzensfeste und Mittewald bringen Kinder in altersgemischten Gruppen – von der ersten bis zur fünften Klasse – zusammen. Dabei wird Musik zur Sprache, die alle verstehen. Sie überwindet Grenzen, schafft Nähe und eröffnet neue Möglichkeiten des Miteinanders - ganz im Sinne des Konzepts Community Music, das für ein aktives Musizieren in Gruppen steht, wobei die Musik als Ausdruck dieser Gemeinschaft erarbeitet wird und ihren sozialen Kontext widerspiegelt. Der musikalische Prozess und der soziale Prozess stehen gleichwertig nebeneinander.

Was das Projekt besonders macht, ist die Verknüpfung von künstlerischem, pädagogischem und wissenschaftlichem Anspruch. Die Workshops werden immer von derselben Person geleitet, die nicht nur musikalische Impulse gibt oder Aktivitäten anregt, sondern gleichzeitig auch die Kreativität fördert. Dabei wird deutlich, dass sich Gruppenstrukturen verändern: Es gibt keine starren Regeln. Die Kinder dürfen Lieder verändern, eigene Texte und Geschichten einbringen oder Bewegungen erfinden – sie erleben Selbstwirksamkeit durch Freude am Tun und musikalische Erfolgserlebnisse und werden zu aktiven Gestalter:innen. So entsteht eine Atmosphäre der Offenheit, in der jedes Kind seinen Platz findet. Musik wird zum gemeinsamen Nenner – auch über Sprachgrenzen hinweg. Obwohl Deutsch die Hauptsprache im Workshop ist, werden auch Italienisch, Englisch oder verschiedene Familiensprachen eingebunden. „Einmal sang ein Kind ein Lied, das es schon auf Deutsch gelernt hat auf Albanisch – und bald sangen alle anderen mit“, erzählt Nardi. Solche Momente zeigen, wie flexibel und kreativ Kinder mit Sprache und Kultur umgehen. Es geht nicht nur darum, Musik zu machen, sondern vor allem auch darum, einen Raum zu schaffen, in dem sie sich ausprobieren dürfen. Wenn etwa ein Liedtext umgedeutet oder ein ursprünglich abschreckender Liedtext so verändert wird, dass ein Tierchen nicht vertrieben wird, sondern freiwillig die Szene verlässt, wird Musik zum Ausdruck kindlicher Autonomie und Kreativität. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“, sondern ein Miteinander, das getragen ist von gegenseitigem Respekt und Offenheit.

Ein Kind spielt mit einem Schlägel auf einem Xylophon aus Holz.
In den Workshops entsteht eine Atmosphäre der Offenheit, in der jedes Kind seinen Platz findet. Foto: unibz

Ein Forschungsteam, darunter Carlo Nardi und Udo Dengel von der unibz begleiten und analysieren die Entwicklung – teils auch selbst als aktiver Teil der Gruppe. Beobachtet wird dabei jedoch nicht nur die musikalische Entwicklung, sondern vor allem der soziale, psychokognitive und emotionale Aspekt: Wie verändert sich das Miteinander? Wie entstehen neue Rollen in der Gruppe? Erste Ergebnisse dazu zeigen, dass Kinder ihr Verhalten im Miteinander verändern. Sie helfen sich gegenseitig, zeigen einander Griffe auf der Ukulele oder ermutigen schüchterne Kinder zum Mitmachen. Dabei treten ethnisch-kulturelle Differenzen in den Hintergrund – vielmehr entsteht eine neue „Kultur der Solidarität und Kooperation“, wie das Team sie beschreibt. Diese Solidarisierung zeigt sich im kreativen Wechselspiel von musikalischer Interaktion, Zuhören, Aufnehmen und Zurückgeben innerhalb der Gruppe. „Wir forschen zum Thema Inklusion“, sagt Koordinator Carlo Nardi, „aber in Wirklichkeit lernen wir viel von den Kindern über Inklusion, weil sie bereits auf ganz natürliche Weise selbst inklusive Praktiken anwenden.“

Die enge Zusammenarbeit mit dem Grundschulsprengel Vahrn und der deutschen Bildungsdirektion in Bozen ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor des Projekts. Dass die Erfahrungen im Rahmen der Workshops Spuren hinterlassen, zeigt sich vor allem auch in der positiven Rückmeldung der Lehrpersonen und im Wunsch, das Projekt weiterzuführen. Sie erleben die Kinder sowohl im normalen Schulalltag als auch in den wöchentlichen Workshops – und sie bestätigen, dass sich einige Kinder dort ganz anders zeigen und bewegen. Wer sich sonst vielleicht eher zurückzieht, wird mutiger und bringt sich aktiver ein und es wird deutlich, dass durch das gemeinsame Musizieren und Bewegen sprachliche, emotionale und soziale Barrieren spürbar abgebaut werden. Fokusgruppeninterviews mit Lehrpersonen zeigen zudem, dass die Impulse aus den Musikworkshops auch langfristig in schulische Praktiken integriert werden können.

Nicht zuletzt knüpft das Projekt auch an eine in Südtirol verwurzelte Tradition des gemeinsamen Singens in Chören an. „Zusammen Musizieren“ kann Schritt für Schritt weitere Gruppen einbeziehen und langfristig zu einer Öffnung schulischer und gesellschaftlicher Kultur beitragen.

Die dreijährige Förderung durch die Stiftung Südtiroler Sparkasse ermöglicht nicht nur die praktische Umsetzung, sondern auch die wissenschaftliche Begleitung und Weiterentwicklung des Projekts.

Beitrag nur auf Deutsch verfügbar

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