AlpiLinK-Bericht: Gebrauch von Dialekten und Minderheitensprachen in Norditalien
By Editorial Team

Frühere Untersuchungen, wie die im Rahmen des ClaM-Projekts 2021 der Universität Trient durchgeführte Studie zum Zimbrischen, Ladinischen und Fersentalerischen sowie die Erhebung des Landesinstituts für Statistik ASTAT der Autonomen Provinz Bozen, haben bereits Daten zum Gebrauch einzelner Sprachvarietäten gesammelt. Der AlpiLinK-Bericht bietet nun jedoch erstmals die Möglichkeit, den Gebrauch von Dialekten und Minderheitensprachen in ganz Norditalien zu vergleichen und dabei auch soziale und familiäre Kontexte zu berücksichtigen.
Die Umfrage mit 1.030 Sprecherinnen und Sprechern aus 505 Orten zeigt bemerkenswerte Unterschiede im Gebrauch der Dialekte in Norditalien. Besonders auffällig ist, dass im Freundeskreis der Tiroler Dialekt mit 91% weit verbreitet ist. Ladinisch wird im Freundeskreis von 70% der Befragten gesprochen, während Venetisch nur von 51% regelmäßig verwendet wird. Bei den lombardischen und piemontesischen Dialekten liegen die Anteile bei lediglich 29% bzw. 22%.
Im familiären Kontext zeigt sich ebenfalls eine klare Präferenz für den Dialektgebrauch. Der Tiroler Dialekt wird hier von 88% der Befragten genutzt, Ladinisch von 78%, und der friulanische Dialekt wird von 71% der Sprecher:innen häufig in der Familie gesprochen. Diese Zahlen verdeutlichen die unterschiedlichen sozialen und regionalen Verankerungen der Dialekte in Norditalien.
Prof.in Birgit Alber, Koordinatorin des Projektes AlpiLinK an der Freien Universität Bozen erinnert daran, dass „Dialekte und Kleinsprachen ein wichtiges Kulturgut darstellen. Dialekte tragen zur Mehrsprachigkeit von Sprachgemeinschaften bei und somit zu den Vorteilen, die Mehrsprachigkeit mit sich bringt, von größerer kognitiver Flexibilität bis zur Verzögerung des Auftretens von degenerativen Krankheiten wie Alzheimer.“

Die kognitiven Vorteile von Zweisprachigkeit betont auch Prof. Prof. Stefan Rabanus, Koordinator des AlpiLinK-Projekts und Professor für deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Verona: „Das Beherrschen eines Dialekts oder einer Minderheitensprache, zusätzlich zur Landessprache, stellt eine Form der Zweisprachigkeit dar, die dieselben kognitiven Vorteile mit sich bringt wie das Beherrschen einer Fremdsprache. Jüngste Studien mit Magnetresonanztomographie (MRT) zeigen, dass Menschen, die von klein auf zwei Sprachen sprechen, eine höhere geistige Flexibilität entwickeln und bessere Voraussetzungen haben, um eine neue Sprache zu erlernen.“
AlpiLinK ist eine von der Universität Verona koordinierte Initiative, an der auch die Universitäten Bozen, Trient, Turin und Aostatal beteiligt sind und die vom Ministerium für Universität und Forschung als Forschungsprojekt von nationalem Interesse gefördert wird. Das Forschungsteam von AlpiLinK hat die Sprachdaten von 1.030 Sprecher:innen von Dialekten und Minderheitensprachen ausgewertet: Dabei handelt es sich um Bürger:innen, die zwischen Juli 2023 und Juli 2024 ihre Audiobeiträge eingesandt und somit zur Erstellung der größten digitalen Audio-Landkarte der Dialekte und Minderheitensprachen Norditaliens beigetragen haben. In einem kurzen Fragebogen wurden die Sprachkompetenzen und die Häufigkeit der Verwendung von Dialekten erhoben. Die Studie ermöglicht erstmals einen Vergleich von Daten zum Gebrauch von Dialekten und Minderheitensprachen in ganz Norditalien. Auf der Webseite alpilink.it sind gesammelten Daten, die dazugehörige Sprach-Landkarte sowie die Ergebnisse abrufbar.
Bemerkenswert sind auch die Unterschiede im Durchschnittsalter der Befragten: Die 13 Walser:innen, die an der Audio-Umfrage teilgenommen haben, sind im Durchschnitt 74 Jahre alt, während die Venezianer:innen mit einem Durchschnittsalter von 44 Jahren die jüngste Gruppe darstellen. Diese Ergebnisse verdeutlichen umso mehr die Dringlichkeit, das kulturelle Erbe der Dialekte zu erhalten und zu fördern.
Alle, die eine historische Sprachvariante oder einen norditalienischen Dialekt sprechen, sind eingeladen, direkt zur Forschung beizutragen. Auf der Website von AlpiLinK können Interessierte an einer Audio-Umfrage teilnehmen, in der sie in ihrem Dialekt eine Szene beschreiben oder vorgegebene Sätze und Wörter übersetzen.
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