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Free University of Bozen-Bolzano

ChatGPT als Verbündeter gegen Greenwashing

Die wachsende Bedeutung der Nachhaltigkeitsberichterstattung erhöht das Phänomen des Greenwashing. Ein unibz-Forschungsteam prüft, wie diese Strategien dank KI besser entlarvt werden können.

By Susanne Pitro

Für die Preisbildung an Aktienmärkten spielen die ESG-Leistungen von Unternehmen laut der Studie bislang keine wesentliche Rolle. Foto: unibz

ESG – das englische Akronym für die Umwelt-, Sozial- und Governance-Leistungen eines Unternehmens, wird zunehmend zum Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Erfolg. Obwohl die Offenlegung dieser von der Europäischen Union als Nachhaltigkeitsmaßstab definierten Kriterien ab 2026 erst einmal nur für börsennotierte Unternehmen zur Pflicht wird, gewinnen sie immer mehr an Bedeutung – ob hinsichtlich Reputation und Wettbewerbsfähigkeit, Kapitalbeschaffung oder Risikomanagement. Entsprechend verlockend kann auch die Versuchung werden, die eigenen ESG-Leistungen besser darzustellen, als sie sind, oder sogenannte braune Aktivitäten zu verbergen.

Dieses als Greenwashing bekannte Phänomen wird mittlerweile auch in der Forschung eingehend untersucht. Wie es künftig von den Stakeholdern eines Unternehmens einfach aufgedeckt und generell besser vorhergesehen werden kann, wird aktuell von der Forschungsgruppe „Financial Markets and Regulation“ an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der unibz untersucht.
„Die Tatsache, dass wir über das Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit am wichtigen nationalen PNRR-Projekt GRINS teilnehmen, ist eine klare Anerkennung für die Qualität der Forschung, die an der unibz im Bereich ESG-Analyse und nachhaltige Finanzen betrieben wird“, unterstreicht Projektleiter Massimiliano Bonacchi, Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der unibz. „Das Projekt ermöglicht es uns, unseren Beitrag zur Entwicklung fortschrittlicher Instrumente zur Identifizierung und Prävention von Greenwashing zu verstärken.“

Insgesamt besteht das Paket des unibz-Teams mit dem Titel ANTGREENWASH – The impact of greenwashing activities on corporate policies and security pricing” aus mehreren Forschungsprojekten, in denen interdisziplinär an neuen Wegen zur Messung und Vorhersage von Greenwashing geforscht wird. Als Basis dafür werden unterschiedliche Formen dieser Praxis in Finanz- und Nachhaltigkeitsberichten kategorisiert oder der Stand der Forschung zu Greenwashing-Indikatoren zusammengefasst.

In einer Vorstudie hat ein Team um den Forscher Luca Menicacci auf Basis eines bekannten Modells zur Preisbildung von Vermögenswerten untersucht, inwiefern ESG-Ratings und deren Veränderungen bei Unternehmen im Energiesektor sowie der Lebensmittel- und Getränkebranche in Europa und den USA Auswirkungen auf Börsenkurse haben. „Wir haben gesehen, dass die ESG bei der Preisbildung an Aktienmärkten bislang keine Rolle spielen“, sagt der unibz-Forscher. Ein ernüchterndes Ergebnis, das laut dem Forschungsteam aber weitere Frage aufwirft. Gibt es auf Seiten der Markteilnehmer noch zu wenig Bewusstsein für die Bedeutung der Nachhaltigkeitsindizes? Gibt es noch keine passenden Tools, um die ESG-Ergebnisse zugänglich zu machen?

Ask ChatGPT

Eine einfache Art, dies für alle Arten von Stakeholdern zu ermöglichen, ist das übergeordnete Ziel eines weiteren Forschungspakets innerhalb dieses PNRR-Projekts. Darin testet ein Team um die Forscherin Olga Bogachek das Potenzial von Künstlicher Intelligenz, das Greenwashing-Risiko von Unternehmen anhand ihrer Nachhaltigkeitsberichte abzuschätzen.

„Die Vision ist, potenziellen Investor:innen die Möglichkeit zu eröffnen, auf unkomplizierte Art abzuschätzen, ob das jeweilige Unternehmen Greenwashing betreibt – und zwar dank einfacher Prompts, die ChatGPT anweisen, den Text des jeweiligen Nachhaltigkeitsberichts zu überprüfen“, sagt Bogachek. Bevor dies möglich wird, testet das Forschungsteam, ob sich der Chatbot mit all seinen Unbekannten tatsächlich dafür eignet, ein solch empirisches Modell zu entwickeln. Als Referenz für die Textanalyse der Nachhaltigkeitsberichte, die mit strukturierten Finanz- und ESG-Daten kombiniert wird, wird ein Datensatz des Sabin Center for Climate Change Law der Columbia University mit bestätigten Greenwashing-Verstößen genommen. Auf dieser Basis soll die KI lernen zu erkennen, wo es verdächtige Divergenzen zwischen Fakten und den Beschreibungen in den Texten gibt, und daraus einen Greenwashing-Index ableiten.

„Es gibt bereits viele ESG-Indizes, doch die Forschung zeigt klar, dass die meisten davon nicht besonders aussagekräftig bezüglich Greenwashing sind. Deshalb wäre ein solches Modell eine Chance, Greenwashing vor einem Investment zu erkennen und so auch mögliche spätere Streitfälle zu vermeiden“, sagt die unibz-Forscherin.

Mit einem eigenen Paper zur Eignung von Large Language Models wie ChatGPT schlägt das Forschungsteam der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften eine Brücke zwischen den gehypten KI-Modellen und nachhaltiger Finanzanalyse. „Die Ergebnisse dieses Projekts können auch auf regionaler Ebene von Nutzen sein – sowohl für lokale Banken, die von ihren Kunden bereitgestellte ESG-Informationen genauer bewerten möchten, als auch für Unternehmen, die die Authentizität der Nachhaltigkeitserklärungen ihrer Lieferanten überprüfen wollen“, sagt Prof. Bonacchi.

Dieser Artikel wurde in der Südtiroler Wirtschaftszeitung veröffentlicht. 

Beitrag nur auf Deutsch verfügbar

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