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Freie Universität Bozen

Wer hört zu, wenn Familien leise um Hilfe rufen?

In einer neuen Folge unseres Podcasts unibz insight zum Schwerpunkt Kompetenzzentren sprechen wir mit der Sozialpädagogin Prof.in Ulrike Loch über eine essenzielle Frage unserer Zeit.

Von Rosmarie Hagleitner

Porträtbild von Prof.in Ulrike Loch vor einer Betonwand.
Sozialpädagogin Prof.in Ulrike Loch. Foto: unibz

Kinder und Jugendliche brauchen stabile Beziehungen, Zeit mit ihren Eltern, Sicherheit – und das Gefühl, gehört zu werden. Doch was passiert, wenn genau das fehlt? Wenn Familien in dauerhafter finanzieller Unsicherheit leben, wenn der Alltag von Überforderung, sozialen Spannungen, Einsamkeit oder Scham geprägt ist? In der aktuellen Folge von unibz insight sprechen wir über diese oft unsichtbaren Belastungen und herausfordernden Lebenslagen – auch hier in Südtirol. Zu Gast ist Prof.in Ulrike Loch, Sozialpädagogin und Leiterin des Kompetenzzentrums für Soziale Arbeit und Sozialpolitik an der Freien Universität Bozen.

In einer von ihr begleiteten Studie haben Kinder und Jugendliche aus ganz unterschiedlichen familiären Hintergründen – nicht nur aus belasteten Familien – ihre Lebensrealitäten in Südtirol geschildert. Was sie erzählen, zeichnet ein klares Bild: Sie sehnen sich nach mehr Zeit mit ihren Eltern, fühlen sich oft einsam und wünschen sich vor allem eines: dass ihnen zugehört wird, von Erwachsenen und von der Politik. Junge Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen sprechen außerdem über finanzielle Armut. „Und die belastet Kinder ebenso wie das Tabu, dass in der Gesellschaft nicht darüber gesprochen wird. Denn wer darüber spricht, riskiert, ausgegrenzt zu werden“, so Loch.

Aus Forschung und Praxis wissen wir: Es sind nicht einzelne Herausforderungen, die Familien an ihre Grenzen bringen – sondern das Zusammenspiel mehrerer Belastungen. Finanzielle Unsicherheit, soziale Isolation, chronischer Stress, gesundheitliche Probleme, alltägliche Konflikte oder das Jonglieren mehrerer Jobs – all das kann sich überlagern und zur Überforderung führen. Und genau hier setzt die Sozialpädagogische Familienhilfe als professionelles Unterstützungsangebot an: Sie hilft dabei, den Alltag neu zu strukturieren, Beziehungen zu stärken – und wirkt zugleich auch als Schutz vor Kindeswohlgefährdung.

In Südtirol betreut die Sozialpädagogische Familienhilfe aktuell rund 180 Familien mit 300 Kindern – der Bedarf wäre weit höher. Lange Wartelisten und fehlendes Fachpersonal erschweren eine zeitnahe Versorgung. Hinzu kommt: Die hohen Anforderungen an die Qualifikation der Fachkräfte stehen oft in keinem Verhältnis zur Bezahlung und gesellschaftlichen Anerkennung der Arbeit.

Ein entscheidender Aspekt für wirksame Hilfe ist Vertrauensbildung. Besonders dann, wenn Familien die Unterstützung nicht aus eigener Initiative annehmen, sondern von Behörden dazu verpflichtet werden, ist es eine Herausforderung, Beziehungen aufzubauen. Nur wenn sich Familien sicher fühlen und ernst genommen werden, öffnen sie sich – und nur dann kann diese Hilfe viel bewirken. Dafür ist einerseits hochqualifiziertes Fachpersonal notwendig, andererseits aber auch der Rückhalt aus dem sozialen Umfeld. Darüber hinaus müssen laut der Expertin Loch auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass Familien nicht dauerhaft im Krisenmodus leben: finanzielle Sicherheit, Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, stabile soziale Netzwerke und qualitativ hochwertige Betreuungsangebote. Auch der öffentliche Raum spielt eine Rolle – denn Kinder brauchen Orte, an denen sie sich sicher, frei und wohl fühlen.

Es zeigt sich deutlich, wie wichtig es ist, die Lebensrealitäten von Kindern, Jugendlichen und Familien stärker in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Neben individuellen Hilfsangeboten sind auch strukturelle Verbesserungen und langfristige Perspektiven entscheidend, um Belastungen nachhaltig zu verringern.

Das Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit und Sozialpolitik, das Prof.in Loch leitet, bringt Wissenschaft, Fachpraxis, Politik und Verwaltung zusammen. In regelmäßigen Fachtagen – zuletzt zum Thema Sozialpädagogische Familienhilfe – werden Forschungsergebnisse präsentiert, Erfahrungen ausgetauscht und Handlungsempfehlungen erarbeitet. Zentrale Anliegen sind die Vernetzung – auch über die Grenzen Südtirols hinaus – und der partizipative Ansatz.

Beitrag nur auf Deutsch verfügbar

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